Ein geschichtlicher Blick ins Stadtquartier
Historische Gebäude im Bohnenviertel
Auf einer Entdeckungsreise durch das altehrwürdige Stuttgarter Bohnenviertel erfahren Sie viele interessante Hintergründe aus seiner Geschichte, die sich hinter den alten Mauern seiner historischen Gebäude verbergen. Diese Tour können Sie auch wunderbar zu Fuß im Bohnenviertel begehen und erleben.
PFARRSTRASSE 1
Ursprünglich hieß die Pfarrstraße einmal Brunnenstraße. In Nummer 15 hatte die Königliche Hof-Schlosserei Schickler seit 1907 ihren Sitz, nachdem der ursprüngliche Firmensitz in der Wagnerstraße zu klein geworden war. Dort wurden u.a. schmiedeeiserne Gitter für die Parkanlagen im Schlossgarten hergestellt. Auch an Eisenkonstruktionen der alten Gewächshäuser in der „Wilhelma“ war die Schlosserei Schickler beteiligt.
Bis heute ist hier die Schlosserei Schickler ansässig, die zum Teil noch mit den historischen Maschinen betrieben wird. Altersbedingt ist die Firma heute nicht mehr in Familienbesitz. Das Jugendstil-Firmenschild am Gebäude zeigt aber, dass man die Tradition schätzt und die Werkstatt zu besichtigen ist ein fast schon museales Highlight!
LEONHARDSPLATZ / LEONHARDSKIRCHE
Bis ins beginnende 20. Jahrhundert wurde der Leonhardsplatz auch als Marktplatz genutzt. Je nach Jahreszeit fand ein „Krautmarkt“ oder ein „Krempelesmarkt“ statt. Heute findet in der Vorweihnachtszeit dort ein Christbaumverkauf statt.
Als in den Sechzigerjahren des 15.Jahrhunderts die 1408 geweihte Vorgängerkirche zu klein wurde, erbaute Aberlin Jörg im Jahre 1460 eine dreischiffige spätgotische Hallenkirche. In der Kirche findet sich auch das Grab des großen Humanisten Johannes Reuchlin, der 1522 starb und in der Leonhardskirche neben seiner zweiten Frau begraben liegt. Reuchlin war einer der Vordenker für Toleranz und setzte sich für die Gleichbehandlung der jüdischen Mitbürger/-innen ein. Die Leonhardskirche wurde 1944 im Krieg stark zerstört und 1950 am selben Platz etwas verändert wieder aufgebaut.
LEONHARDSPLATZ / GUSTAV-SIEGLE-HAUS
Auf der einen Seite wird der Leonhardsplatz vom Gustav-Siegle-Haus begrenzt. Siegles waren erfolgreiche Chemiefabrikanten, die mit Hilfe der Julie-von-Siegle-Stiftung ein Volkshaus schufen, das zwischen 1910 und 1912 vom Architekten Theodor Fischer gebaut wurde. Das Haus steht auf dem Platz der ehemaligen Boten- oder Getreidehalle, die im 19 Jahrhundert einer der Hauptumschlagplätze der in Stuttgart gehandelten Güter war. Die Halle war nach Auflassung des Leonhards-Friedhofes im Jahr 1805 erbaut worden.
Auch das Gustav-Siegle-Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und erst in den 1950er Jahren wieder aufgebaut. Heute finden dort Kulturveranstaltungen statt und es ist Sitz der Stuttgarter Philharmoniker.
ESSLINGER STRASSE 24
Am 02.Juli 1785 wurde in das Zunftbuch der Seifensieder die Gründung des Seifen-Lenz, Seifensieder und Lichtzieherei, eingetragen, die seit 1975 hier in der Esslinger Str. 24 ansässig ist.
Bis heute werden dort Kerzen gezogen (auch nach Kundenwünschen), Seifen und Weihrauch verkauft und so manche sonst nirgends mehr zu findenden Bürsten und Mittelchen. Die Firma Seifen-Lenz ist das älteste heute noch existierende Unternehmen im Bohnenviertel und heute im Besitz der Familie Rittberger.
WAGNERSTRASSE 34
Im Jahre 1858 wurde hier die „Spezialwerkzeug-Handlung“ mit Schwerpunkt Sattlereibedarf gegründet, die zu den „Urgesteinen“ im Bohnenviertel zählt. War früher der Sattlereibedarf auf Pferde ausgerichtet, geht es heute meist um Automobile der gehobenen Klasse.
Vor dem Schaufenster kann man nicht erahnen, welche Tiefe der Laden eigentlich hat und welche Schätze er birgt. Dort kann man bis heute bei der Firma Binder die guten alten und haltbaren Werkzeuge erhalten, auch im Versand.
WEBERSTRASSE 72 / KATHARINENPLATZ
Der letzte Turm aus der St. Leonhards-Befestigung, nachmals Esslinger-Vorstadt. Als Stadtmauer schützte er seit dem 15. Jahrhundert die Stuttgarter vor unerwünschten Eindringlingen. Allerdings war der 1564 erbaute Turm nicht der Schellenturm (der stand ursprünglich Ecke der heutigen Kanal- und Weberstraße), sondern die Kastkellerei, eine Art Verwaltungszentrum für herzogliche Güter. Erst 1811, nach dem Abbruch des ursprünglichen Schellenturms wurde die Kastkellerei in „Schellenturm“ umbenannt. Um 1900 wohnte im oberen Stockwerk ein Schuster, der im Nebenberuf Laternenanzünder war.
1905 ging der Turm in den Besitz der Stadt Stuttgart über. Der Turm wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und auf Initiative der Denkmalstiftung Stuttgart wieder aufgebaut. Heute ist dort die Weinstube Schellenturm eingerichtet, in der man vorzüglich schwäbisch essen kann.
ROSENSTRASSE 26 BIS 28 UND 30
Hier hatte der Königlicher Hofkutschenlieferant, der Wagen- und Chaisenbauer Adolf Wilhelm Wimpff seit 1866 seinen Firmensitz. „Wimpff & Söhne“ hieß die Firma. Einer seiner Kunden war der Privatier Gottlieb Daimler, der sich im Jahr 1886 eine Kutsche mit einigen auffälligen Änderungen bauen ließ. Angeblich ein Geburtstagsgeschenk für die Gattin. Diese besondere Kutsche wurde bei Nacht und Nebel nach Cannstatt geliefert und dort von Daimler weiter entwickelt. Aus der Chaise wurde ein Auto.
So wurde das Bohnenviertel zur Geburtsstätte des Automobils. Das historische Gebäude fiel 1944 – wie viele andere Häuser des Quartiers – den Bomben zum Opfer. Heute steht an dieser Stelle ein moderner Neubau mit einer Gedenktafel, die auf Initiative einer engagierten Bürgerin angebracht wurde.
ROSENSTRASSE 32 / WEINHAUS STETTER
Hier befindet sich das Weinhaus Stetter. Das Haus wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Küfermeister Ernst Stetter sen. als „Hotel zum Rosenstein“ erbaut und hat sich bis heute dem Wein verschrieben. Bis 2009 blieb das Weinhaus, das eine Weinstube und einen Weinhandel umfasst, in Familienbesitz. Dann musste Roman Stetter gesundheitsbedingt einen würdigen Nachfolger suchen und fand ihn in Andreas Scherle vom renommierten „Hotel Wörtz“.
Das Sortiment des Weinhandels umfasst immer noch über 500 Weine aus aller Welt und in der Weinstube werden über 40 Weine im offenen Ausschank angeboten. Da gilt „Wer die Wahl hat, hat die Qual!“
ROSENSTRASSE 36
Dieses Haus ist das letzte in der Häuserzeile innerhalb der ehemaligen Stadtgrenze. Von hier zog sich die Stadtmauer in Richtung Schellenturm und umfriedete die ehemalige St. Leonhards-Vorstadt bis zum heutigen Wilhelmsplatz, wo der Scharfrichter residierte und sein blutiges Amt ausführte. Deshalb hieß der Wilhelmsplatz früher auch „Hauptstatt“.
In der Rosenstraße 36, ein barockes Haus um dessen Erhalt sich einmal eine Bürgerinitiative erfolgreich bemühte, ist heute das „Allerleirauh“, ein anthroposophischer Kindergarten untergebracht.
ROSENSTRASSE 42
In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut, um 1899 von Familie Kärcher erworben. Hier befand sich ehemals eine Fisch-, Wild- und Geflügelhandlung mit Dependance in der Markthalle, in die man frühmorgens das Leiterwägele, voll beladen mit frisch abgezogenen Rehen, Hasen und Kaninchen zog. Auch das für die Fischhandlung benötigte Eis wurde in der Markthalle in leeren Heringsdosen hergestellt und mit dem Leiterwägele ins Bohnenviertel zum Kühlen der Fische transportiert. Das muss schön geklappert haben!
Heute ist davon nichts mehr zu sehen oder zu riechen. Das „Z“, eine Lounge, die zum Hotel Restaurant „Der Zauberlehrling“ gehört, lädt zum Platz nehmen und Verweilen ein.